Auswirkungen ‚kollektiver Autorschaft‘ auf die Struktur des ‚Roman der 12‘

 

1. Auswirkungen kollektiver Autorschaft auf die Darstellung des Subjekts

 

Es handelt sich im ‚Roman der 12‘ um eine für die klassische Moderne typische Subjekt-Konstruktion, die nicht vom Kern einer kontinuierlich sich weiterentwickelnden Persönlichkeit ausgeht, sondern das Subjekt von seinen Grenzen her denkt. Doch diese Grenzen verschwimmen.

 

Entgegen einer aufklärerischen oder klassischen Dar- und Vorstellung von Individualität wird im ‚Roman der 12‘ keine zielgerichtete, teleologische und selbstbestimmte Individualisierung beschrieben.

 

Die kollektive Darstellung des Protagonisten Gaston von Dülfert verläuft kurvenhaft, sprunghaft und zersplittert durch ständige Wechsel von Themen, Ort, Zeit, Raum und Personen. Das Fragmentarische erscheint als Ausdruck einer bruchhaft gewordenen Wirklichkeit und der Auflösung bisheriger starrer Traditionen.

 

Das Verfahren der Textproduktion in kollektiver Autorschaft scheint die Sprunghaftigkeit der Handlung nochmals zu multiplizieren: die moderne Thematik des ‚gespaltenen‘  Subjekts wird sinnfällig als eine Subjektdarstellung, die auf 12 Autoren ‚aufgespalten‘ ist.

Auch eine einheitliche Orientierung in der Chronologie und Topographie des Romans wird zugunsten einer diskontinuierlichen‚ fragmentarischen und zersplitterten Konstruktion von erzählten ‚Zeiten‘ und erzählten Orten geopfert. Durch die Produktionsbedingungen kollektiver Autorschaft wird diese ohnehin schon vorherrschende Tendenz der klassischen Moderne nochmals gesteigert. 

 

Die vielschichtige Subjektdarstellung äußert sich im Roman der 12 in unlogischen Gedankensprüngen,  Darstellung ‚unrealistischer‘ Wirklichkeitswahrnehmung, phantastischen Denkmodelle und Allmachtsphantasien des Protagonisten. Schnell wechselnde Gefühlsebenen und sinnliche Erfahrungen schaffen Beschreibungen verschiedener Bewußtseinsebenen. (Beispiel: Gaston von Dülfert ist in Meyrinks Kapitel drei Personen in einer Gestalt durch „Einsteigen“ in diese und sich ganz in sie ‚Hieneinversetzens‘. S. 343ff.)

 

Trotz mehrfacher Überlagerungen steht am Ende des Romans ein ‚Happy end‘: Gaston findet sich zum sozial denkenden und mitfühlenden Menschen geläutert, jedoch nicht durch einen Akt individueller Selbstbestimmung, sondern durch ein von außen gelenktes Geschick. Er findet nicht nur seinen tot geglaubten Vater, sondern zum Hochzeitsfest auch den Reigen ‚seiner‘ Autoren, vereint als feiernde Hochzeitsgesellschaft: Hier findet ‚eine Person zwölf AutorInnen‘ – eine frühe Variation der Thematik, die Pirandello in seinem Drama ‚Sechs Personen suchen einen Autor‘ (1921) aufgreifen wird.

 

2.        Auswirkungen kollektiver Autorschaft auf die Schreibweisen im ‚Roman der 12‘

 

Den Roman dominieren Schreibweisen des Grotesken, des Ornamentalen, des Satirischen. Unterschiedlich erscheint der Grad der Steigerung dieser Schreibweisen, in denen sich die AutorInnen gegenseitig übertreffen zu wollen scheinen. Immer phantastischer und ausgefallener werden die Schlußpointen der einzelnen Kapitel. Besonders fallen die Kapitel von ..... aus dem Rahmen. Im Gegensatz zu diesen Autoren scheinen andere wie ... die Handlungsführung des Romans ordnen und zusammenführen zu wollen. Es überrascht nicht, daß sich diese Autoren auch durch eine leichter zu entschlüsselnde, eindeutigere Schreibweise unterscheiden.

 

Im alltäglichen Sprachumgang herrscht zumeist die Vorstellung von der Möglichkeit eines adäquaten Verstehens. Man geht dann von einem Verhältnis von Signifikat und Signifikant  aus, das sich einem 1:1-Verhältnis annähert. Die poetische Sprache verweist uns auf die Unmöglichkeit eines solchen Verstehens. Durch Übertreibungen, ironische Wenden, satirische oder groteske Spitzen sind die Überzahl der Kapitel im ‚Roman der 12‘ durch Signifikantenüberfluß gekennzeichnet: eine fließende Signifikantenkette, die nicht mehr eindeutig einem Signifikat zuzuordnen ist, sondern die Statik des angenommenen Verhältnisses zwischen Sprache und Realität auflöst.  


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