Konzepte kollektiver Autorschaft um 1800.
Frühe Irritationen der ‚Funktion‘ Autor.

 

Zu den zentralen Paradigmen neuzeitlicher Literatur zählt seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts das Prinzip der Autorschaft. Als Funktion des Textes etabliert sich im Rahmen der Genieästhetik ein Konzept des Autors, das die Texte mit namhaften Absendern versieht und der „strikten Unifizierung von Papierstößen“ (Kittler) dient.

 

Foucault beschreibt vier „Modalitäten“, in denen die Funktion ‚Autor‘ bis heute ausgespielt wird: Der Autor fungiert als einheitliches Wertniveau, das es ermöglicht, Modifikationen oder Brüche im Werk des Autors im Rückgriff auf die Autorbiographie zu erklären. Der Autor fungiert als einheitliches Feld eines begrifflichen und theoretischen Zusammenhangs, der die Annahme der Einheit des Werks legitimiert. Der Autor fungiert als stilistische Einheit, die sich wiedererkennen läßt und viertens als geschichtlicher Augenblick und Schnittpunkt von außer ihm liegenden Ereignissen, die er umsetzt.

 

Als Höhepunkt der Etablierung des Prinzips der Autorschaft als „Werkherrschaft“ (Heinrich Bosse) gilt allgemein die Zeit um 1800. Übersehen wird dabei jedoch oft, daß dieses Prinzip zur gleichen Zeit erste nachhaltige Irritationen erfährt. Störungen, die das Prinzip der männlich konnotierten ‚Autorität‘ über den Text um 1800 irritieren, wurden in den letzten Jahren vornehmlich durch feministisch orientierte Literaturanalysen ins Blickfeld gerückt. Doch auch Textproduktionen kollektiver Autorschaft irritieren das Bild des Autors genieästhetischer Provenienz. Nicht nur die Tatsache, daß sie von mehreren geschrieben sind, sondern auch die intertextuellen Verweise auf die Position des Autors in den Texten kollektiver Autorschaft um 1800 wirken irritierend auf eine Funktionalisierung, die sich in diesem Zeitraum zwar mehr und mehr etabliert, aber eben auch hinterfragt wird. Am Beispiel des Romans ‚Die Versuche und Hindernisse Karls. Eine deutsche Geschichte aus neuerer Zeit’ von Karl August Varnhagen, Wilhelm Neumann, August Ferdinand Bernhardi und Friedrich de la Motte Fouqué, der 1808 anonym erschien, lassen sich die Irritationsmomente exemplarisch aufschlüsseln. 

 

1. Texte kollektiver Autorschaft irritieren die zeitgenössische Literaturkritik. Etablierte Wertungskriterien greifen angesichts der Unsicherheit, welcher Autor, welches Kapitel geschrieben hat, nicht mehr. So reagiert die Kritik auch auf ‚Die Versuche und Hindernisse Karls‘ abwertend. Zugleich setzen Versuche ein, einzelne Kapitel den Autoren zuzuordnen, wobei einzelne Kapitel bevorzugt werden.

 

2. Texte kollektiver Autorschaft irritieren die Annahme der Einheit und Abgeschlossenheit des Textes. Die Autoren der ‚Versuche und Hindernisse Karls‘ schreiben zum Teil ‚gegeneinander‘, so daß sowohl die Handlung, als auch die Konzeption der Figuren Brüche aufweist. Intertextuell wird der Rahmen des Romans aufgebrochen, indem nicht nur Texte anderer Autoren zitiert werden, sondern als weitere zentrale Figur ‚Wilhelm Meister‘ eingeführt wird, der sich, von der Herrschaft seines Autors befreit, recht skeptisch gegenüber Goethe äußert, statt dessen Schiller „bei weitem vorzieht“.

 

3. Texte kollektiver Autorschaft irritieren die Funktion ‚Autor‘ im Hinblick auf die Annahme einer stilistischen Einheit, die wiedererkannt werden kann. Versuchte die Kritik die Schreibweisen der einzelnen Autoren wiederzuerkennen, so wird auch dieses Verfahren im Roman mittels der Imitation der Schreibweisen Jean Pauls und Johann Heinrich Voß‘ ad absurdum geführt.

 

4. Die Funktion des Autors als Schnittpunkt historischer Ereignisse wird jedoch im Hinblick auf die Suche nach kollektiver Identität auch vom Autorenkollektiv der ‚Versuche und Hindernisse Karls‘ wahrgenommen. Der Roman endet mit einer ‚Canzone‘ nach Petrarca, in der die Niederlage Preußens im Krieg gegen Frankreich mit der fehlenden Einheit Deutschlands begründet wird. Die Parodie auf die Vorstellung des autonomen, sinnstiftenden Zugriffs sowohl des Autors auf seinen Text als auch des Subjekts auf sein Leben mündet in einer den Krieg verklärenden Vision eines zu stiftenden Kollektivs ‚Deutschland‘.

 

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