Thematisierung
des Mediums "INTERNET" in den Texten von ‚NULL’
Auffallend
ist, daß sich von 39 Autoren lediglich 7 Verfasser in ihren Beiträgen mit dem
Thema Internet auseinandersetzen.
Gemeinsam
ist allen, daß weniger das, was geschrieben wird, als der Prozeß, wie das
Geschriebene entsteht, von diesem neuen Medium beeinflußt wird. Dabei wird die
Möglichkeit, unmittelbar auf vorhergehende Artikel zu reagieren, sowohl positiv
als auch negativ empfunden. Hervorgehoben wird, daß es sich bei NULL erstmals um
einen solchen Versuch handelt, was als ein Generationenbruch gewertet werden
kann. Die Verwendung von e-mails und Links ist dann eigentlich nur eine Folge dieses neuen Mediums. Das
Internet bietet allen Teilnehmern an diesem Projekt die Möglichkeit, unmittelbar
und ohne Zeitverzögerung das Wachsen des "Buches" verfolgen zu können. Das führt
auf der einen Seite zu teilweise heftigen "öffentlichen" Auseinandersetzungen,
z.B. über den Kosovo-Krieg, auf der anderen Seite zu einem scheinbar von den
anderen Mitautoren völlig unbeeinflussten Schreiben. Die Frage nach
Internet-spezifischen Ausdrucksformen wird zwar wiederholt gestellt, aber nicht
erkennbar beantwortet. Das Mitarbeiten an einem gemeinsamen Projekt im Internet
scheint die Isolation des in seinen eigenen vier Wänden nur auf sich selbst
gestellten Schriftstellers zu lockern. Es wird aber auch die Gefahr gesehen, daß
eigene und fremde Qualitätsansprüche leiden durch die Leichtigkeit, mit der mal
eben etwas im Internet "abgelegt" werden kann, es quasi als Mülleimer für sonst
nicht Druckbares benutzt wird.
Um
sich einen authentischen Eindruck von der Thematisierung des Mediums Internet
durch die verschiedenen Autoren machen zu können, wird nachstehend eine Reihe
von Originalaussagen zitiert, die das oben Gesagte illustrieren
mögen:
"Man
kann beobachten, daß die Texte in NULL im Laufe der Zeit kürzer wurden und etwas
seltsam Anfangloses bekamen. Autoren, die sonst kaum etwas Unredigiertes aus der
Hand geben würden, ließen sich sichtlich auf die Verführung zur Privatheit ein,
die der Bildschirm und die flüchtigen Buchstaben im glimmenden Licht noch immer
darstellen. Ohne daß die Ergebnisse dabei unfertig in einem herkömmlichen Sinne
wären, sind sie doch oftmals weitmaschiger, flexibler, reaktionsfähiger. Und
sollte man darüber spekulieren, was solche Veränderungen in Duktus und Form
bedeuten, ließe sich vielleicht sagen, daß Literatur längst beginnt, die liquide
Aura eines Mediums für sich zu nutzen, das keine auratische Gestalt mehr
zuläßt." ( Hettje, Seite 12 )
"...
vielleicht aber wird eine Spur gelegt werden, die aus diesem letzten
Jahrtausendjahr in das kommende führt. Und zwar entlang von Texten der Autoren
jener Generation, für die erstmals die Rituale des Bleistifts nicht mehr gelten. Denn das Netz selbst ist
das Dokument eines Generationenbruchs." ( Hettje, Seite 17
)
Erstmals
enthält ein Text ein Link (
( http://www.foxworld.com/millennium/ )
und Hinweise auf die Verwendung von
e-mails:
"Außerdem
würde ich gerne einen Text vorstellen, den ich gemeinsam mit einer Berliner
Schriftstellerin über e-mail verfasst habe ( als Beispiel für neue
Kommunikationsformen ) "
(
Scholl, Seite 31 )
„...
Dank für den Text, der gleich ziemlich genau meiner einen Version für NULL
entspricht, nämlich der einer Assimilation medialer
Wirklichkeiten."
"NULL
bekommt etwa im Wochentakt ein Update, wobei immer alle Texte präsent
bleiben."
(
Hettje, Seite 32 )
"...
gut, daß ich Zeit habe für schnelle Reaktionen, während ich auf die Korrekturen
für zwei neue Bücher warte. Muß zugeben, daß mir das Hin und Her ( e-mails )
ziemlichen Spaß bereitet." (Scholl, S. 33)
"Doch
acht Wochen NULL heißt vor allem, lange dabei zuzusehen, wie die Texte, für die
dieser Ort gedacht ist, sich hier einleben. Welche kommen und sich niederlassen
und welche nicht, wer mit wem sich verträgt, wer wieder geht und wer bleibt. Und
was die Literatur im WWW überhaupt benötigt. Kam sie doch bisher vor allem in
den Link-Sammlungen einsamer Germanisten vor und in jenen Verlagsprojekten, die
obskuren Pfadfinder-Ideen vom gemeinsamen Schreiben folgen. Als ob Literatur
plötzlich in der Bastelgruppe entstünde. Indem aber Schriftsteller zunehmend
einen ganz pragmatischen Umgang mit dem Internet erproben, der ihnen und nicht
medientheoretischen Thesen entspricht, beginnt das Netz langsam tatsächlich ein
Ort für Literatur zu werden. Und ein Ort für tatsächliche Literatur."
(
Hettje, Seite 82 )
"Denen
ist der eigene elektronische Schreibtisch längst zu einem, wenn man so will,
öffentlichen Ort geworden." ( Hettje, Seite 82 )
"....Im
ersten Beitrag entschuldigt er sich langatmig, weil ihm auch nichts Internet-Spezifisches einfallen
wollte..." ( Krausser, Seite 144 )
"Ich
finde es nach wie vor höchst interessant, darüber nachzudenken und auch
auszuprobieren, inwiefern sich das Schreiben im Internet von jenem auf dem
Papier unterscheidet ( beziehungsweise unterscheiden könnte )." ( Meinecke,
Seite 154 )
"Was
ganz anderes ist die Bezugnahme der Texte untereinander. Hier kann durchs
Internet sehr wohl eine Art vierdimensional geknüpftes Netz aus Bezugspunkten
entstehen - und das genau ist NULL, wenn auch in einem noch frühgeschichtlichen
Stadium, dessen Generierungsfaktoren sich noch kaum aufeinander eingespielt
haben. Ein solches Stück lebt von der Kollektiv - Qualität. Man muß nicht nur
etwas zu sagen haben, man muß auch einander etwas zu sagen haben, sonst entsteht
nichts als ein überdimensionierter Weihnachtskalender, wo himter jedem Türchen
einer sein Häufchen für die vorläufige Nachwelt gemacht hat. Andererseits stellt
eine völlige Verknüpfung der jetzt noch sehr disparaten Ansätze nichts anderes
dar als einen stilistisch aufgemotzten CHAT."
(Krausser,
Seite 176)
"Der
Fortschritt wird sein, daß das Projekt in Buchform SEHR VIEL MÜHEVOLLER zu
genießen sein wird." ( Krausser, Seite 176 )
"Meinst
Du, Ich hätte etwas anderes geschrieben, wenn es nicht fürs Internet gedacht
wäre?" (Scholz, Seite 190 )
"[...]
aber NULL ist genauso einsam und gibt’s nur, damit man denkt, man wäre nicht so
einsam als Dichter, wenn man in diesem Netz hängt, wo alle so tun [...]"(
Altenburg, Seite 208 )
"Schnell
ergab sich dabei in NULL eine Debatte unter den Autoren, wie sie in solcher
Vielfalt und Direktheit sonst kaum in der Öffentlichkeit geführt wurde." (
Hettje, Seiten 230/231 )
"Jedes
neue Medium verändert die Stellung aller anderen. Deshalb kann heute etwa das
Internet eine ganz andere Information bieten als das Fernsehen." ( Scholz, Seite
247 )
"Was
mich gestern am meisten erstaunte, war die wiederholte Nachfrage, ob wir Autoren
nicht dazu verleitet würden, in NULL Texte abzulegen, die wir sonst in keinem
Buch veröffentlichen würden, und die vielleicht nicht mal von einer Zeitschrift
oder einem sonstigen gedruckten Medium angenommen würden. Scheinbar wird das
Netz tatsächlich als eine Art Mülleimer wahrgenommen, und was dort publiziert
wird, ist von vornherein >gratis< und deshalb selbstredend >Trash<."
( Richle, Seite 295 )